Unberechtigte Videoüberwachung, Kameraattrappen, Eingriff in das Persönlichkeitsrecht – AG Aschaffenburg vom 19.06.2013, Az. 126 C 962/12

1.Jan 2015 | Recht

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Im Namen des Volkes

In dem Rechtsstreit

wegen Entfernung von Gegenständen

erlässt das Amtsgericht Aschaffenburg durch den Richter am Amtsgericht F. auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2013 folgendes

Endurteil

I. Die Beklagten werden verurteilt, die auf der Westseite des Hauses B-Weg
10 in H. im zweiten OG an dem dreiflügeligen Fenster angebrachten Videokameras/Kameraattrappen zu entfernen.

II. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 229,55 € vorgerichtliche
Anwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
hieraus seit dem 12.04.2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 500 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 500 € leistet.
Tatbestand

Die Parteien streiten um die Entfernung von Videoüberwachungskameras/sonstigen Kameras auf dem Anwesen B-Weg 10 in H.

Sichtbar sind 2 Gegenstände mit rotem Blinklicht, welche dem äußeren Eindruck nach wie professionelle Videokameras wirken. Sie bewegen sich auch wie solche. Sie befinden sich am dreiflügeligen Fenster des Schlafzimmers der Beklagten im zweiten OG, wobei der eine seinen Platz etwa mittig innen hat, der andere außen am Fenster auf der linken Seite angebracht ist.
Die Beklagte zu 1 ist die Eigentümerin des Anwesens B-Weg 10 in H, der Beklagte zu 2 ihr Ehemann, welche beide das Anbringen veranlasst haben und für notwendig halten.

Beim Kläger handelt es sich um den Miteigentümer des Nachbargrundstücks B-Weg 11 in H.

Die Gegenstände befinden sich ca. seit Oktober 2011 an der genannten Stelle. Desweiteren haben die Beklagten seitdem an der Nordseite ihres Anwesens einen Gegenstand installiert, der dem Anschein nach den Eindruck einer professionellen Videokamera erweckt, was beklagtenseits gewollt ist.

Ohne dass äußerlich erkennbare Veränderungen vorgenommen werden müssen, ist es möglich, die Kameras/Kameraattrappen an der Westseite so auszurichten, dass der Bereich vor dem Eingang des Klägeranwesens, der Treppenaufgang bis zum Hauseingang und die dort befindlichen Personen mindestens hinsichtlich ihres Oberkörpers eingesehen werden können.

Die Kamera auf der Nordseite befindet sich, vom Haus aus gesehen, auf der rechten Seite des Balkons. Auf dem Balkon mit Blickrichtung links sind hauptsächlich Thuyasträucher mit dichtem Bewuchs zu sehen. Die Ausrichtung der Kamera/Kameraattrappe zeigt nach Norden, beweglich ist sie in Richtung Westen und Osten.

Mit Schreiben der Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 28.03.2012 unter Fristsetzung bis zum 12.04.2012, wurden die Beklagten aufgefordert, die “installierten Kameras umgehend, jedoch bis spätestens 11.04.2012 zu entfernen”. Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten wurden in Höhe von 489,45 € in Rechnung gestellt.

Insbesondere mit Hinweis darauf, dass es sich nur um Attrappen handele, erfolgte beklagtenseits die Entfernung nicht.

Der Kläger behauptet, dass es sich bei den Kameras nicht um Attrappen handeln könne, da diese zeitweise leuchteten und die Beklagte zu 1 im Fenster erschienen sei, wenn das Leuchten erfolgte. Selbst wenn nur Attrappen installiert sein sollten, hätten die Beklagten die Möglichkeit, diese jederzeit gegen echte Kameras auszutauschen. Die Kameras seien in Fenstern der Beklagten installiert, zu denen sie vom entsprechenden Zimmer des Hauses immer Zugang hätten. Ein Kameraaustausch wäre für den Kläger nicht feststellbar. Auch mittels der Kamera an der Nordseite des Hauses sei es möglich, das klägerische Grundstück sowie den Kläger und seine Angehörigen zu überwachen. Die Positionierung der Kameras sei insgesamt nur damit erklärlich, dass sie einem solchen Überwachungszweck dienen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, sämtliche Videoüberwachungskameras und sonstige Überwachungskameras auf ihrem Anwesen (Haus und Grundstück), insbesondere die auf der Westseite, in Richtung des Anwesens des Klägers, im zweiten OG an dem dreiflügeligen Fenster angebrachten Videokameras sowie die an der Nordseite ihres Anwesens installierte Videokamera, zu entfernen,

desweiteren die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 489,45 € vorgerichtlichte Anwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 12.04.2012 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, bei den Kameras handele es sich tatsächlich um Kameraattrappen, welche über kein eigenes Aufnahmemedium verfügen würden und vor Ort nichts aufzeichnen könnten. Gekauft worden seien die Kameras zur Abschreckung von Einbrechern, da es in den letzten Jahren mehrfach Einbrüche in Wohnhäuser in H. gegeben habe. Die Kameras dienten nicht der Überwachung des klägerischen Grundstücks.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins zum Zwecke der Veranschaulichung der Beschaffenheit, Montage, Funktion und Ausrichtung der Kameras/Kameraattrappen am 26.04.2013 im Anwesen B-Weg 10 und im Eingangsbereich des Anwesens B-Weg 11 {S-Protokoll Bl. 82 und 83 d. Akten).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Entfernung der beiden an der Westseite des Bekiagtenanwesens am Fenster angebrachten Videokameras/Kameraattrappen unter dem Gesichtspunkt einer Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Artikel 1 und 2 GG) aus § 823 in Verbindung mit § !004 BGB zu.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt grundsätzlich jedermann vor technisch gestützter Beobachtung und Aufzeichnung ohne seine Einwilligung. Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und das unbefangene Gebrauchmachen von Grundrechten wäre gefährdet, müsste man jederzeit mit einer Beobachtung durch Personen, die man nicht sehen kann, oder mit einer reproduzierbaren Aufzeichnung des eigenen Verhaltens rechnen.

Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt aber nicht nur vor tatsächlicher Bildaufzeichnung. Es schützt bereits vor der berechtigten Befürchtung einer Bildaufzeichnung. Schon wenn eine Person eine Beobachtung oder Aufzeichnung ihres Verhaltens nicht ohne Grund befürchten muss, kann ihre Unbefangenheit verloren gehen und die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt sein. Ob eine Kamera tatsächlich funktionsfähig und einsatzbereit ist, ob sie die betroffene Person erfasst, ob eine Bildaufzeichnung erfolgt oder nicht: Für den Betroffenen, der nicht weiß ob er beobachtet wird oder nicht, ist das Risiko einer Überwachung in Betracht zu ziehen, er wird sein Verhalten darauf einrichten. Er wird in seiner Freiheit wesentlich gehemmt, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Das Persönlichkeitsrecht schützt bereits vor nicht funktionsfähigen Videokamera/ Attrappen, weil die betroffene Person deren Funktionsfähigkeit oder Infunktionssetzung und damit eine Beobachtung oder Aufzeichnung ihrer Person jederzeit befürchten muss.

Gleiches gilt für den räumlichen Erfassungsbereich der Videokamera; Das Persönlichkeitsrecht schützt vor einer Videoüberwachung bereits dann, wenn betroffene Personen nicht ohne Grund befürchten müssen, erfasst zu werden.

Es fehlt aber an einem Eingriff in die Rechte der Nachbarn, wenn objektiv feststeht, dass durch eine Videoüberwachung deren Flächen nicht erfasst werden und wenn eine solche Erfassung nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich wäre.

Unstreitig sind die Kameras/Kameraattrappen die sich im Bereich des Schlafzimmerfensters des Beklagtenanwesens befinden, der Lage, rot zu blinken und sich auf eine Weise zu bewegen, wie es bei professionellen Überwachungskameras der Fall ist. Nicht bewiesen wurde klägerseits, dass die Kameras über ein eigenes Aufnahmemedium verfügen und Aufzeichnungen erfolgen.

Die insoweit vorgetragene Tatsache, dass es mehrfach vorgekommen wäre, dass einer der Beklagten oder beide am besagten Fenster erschienen seien, wenn der Kläger oder Besucher den Bereich vor dem Anwesen des Klägers sowie den Hauseingangsbereich betreten hätten und das rote Licht der Kamera geleuchtet habe, sagt nichts darüber aus, ob die Überwachungskameras über Aufnahme und Aufzeichnungsmöglichkeiten verfügen. Wenn das der Fall wäre, gäbe es keinen ersichtlichen Grund für die Beklagtenseite, sich deutlich sichtbar am Fenster zu zeigen. Im Übrigen ermöglicht das Schlafzimmerfenster eine (heimliche) Beobachtung des klägerischen Anwesens problemlos auch ohne Kameras oder sonstige Technik.

Die Inaugenscheinnahme führte zu der Feststellung, dass die Kameras derzeit und von der Straße bzw. vom klägerischen Grundstück aus in kaum wahrnehmbarer Weise so ausgerichtet werden können, dass der Treppenaufgang des Nachbarnwesens eingesehen werden könnte.

Deutlich und unstreitig ist das zerrüttete Nachbarschaftsverhältnis der Parteien. Die Befürchtung des Klägers, von den Beklagten mittels Kameras überwacht zu werden, ist nachvollziehbar und verständlich.

Bezüglich der Kameras am Fenster ist der geschaffene Überwachungsdruck auch nicht durch überwiegende Interessen der Beklagten gerechtfertigt.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht absolut geschützt. Einschränkungen wären im überwiegenden Interesse Dritter gerechtfertigt, wenn die Einschränkung zur Erreichung ihres Ziels geeignet, erforderlich und verhältnismäßig wäre.

Betroffen ist der Kläger in seiner Privatsphäre, welche das Leben im häuslichen und Familienkreis, sowie das sonstige Privatleben umfasst. Eine Videoüberwachung stellt einen schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der von ihr betroffenen Personen dar. Personen, die zu einer Überwachung keinen Anlass gegeben haben, können beobachtet, ihr Verhalten fixiert werden. Aus der An- und Abwesenheit einer Person im Erfassungsbereich einer Kamera, aus ihrem Erscheinungsbild und Verhalten sowie aus ihrer Begleitung können eine Vielzahl von zutreffenden oder unzutreffenden Schlüssen gezogen werden mit dem Risiko von Nachteilen für die von der Beobachtung betroffenen Personen.

Das bloß abstrakte Risiko einer Verletzung von Rechten des Eigentümers durch Personen, die unberechtigt das Grundstück betreten (z.B Einbrecher) rechtfertigt noch keine prophylaktische Videoüberwachung, gerade in der Weise, wie es im Bereich des Schlafzimmerfensters des Beklagtenanwesens der Fall ist. Das speziell auf dem überwachten Grundstück der Beklagten mit schwerwiegenden Rechtsverletzungen, z. B. Einbrüchen, zu rechnen wäre, ist nicht substanziiert dargelegt. Es besteht nur ein Risiko, wie es bei jedem Eigentümer eines mit einem Haus bebauten Grundstücks der Fall ist. Zu beachten ist die Tatsache, dass der von den Beklagten gewollte Eindruck der Überwachung auf Dauer angelegt ist.

Die Beklagten haben problemlos die Möglichkeit, Kameraattrappen im Bereich unterhalb des Ter-rassenvorsprungs gegenüber dem Hauseingang des Beklagtenanwesens anzubringen, welche mindestens den gleichen Abschreckungseffekt gegenüber potenziellen Straftätern erzielen können.
Bezüglich der Kameras im Bereich des Fensters an der Westseite des Beklagtenanwesens überwiegt das Interesse des Klägers an der Entfernung deutlich.

Die Kamera/Kameraattrappe im Bereich des Balkons ist nach Norden ausgerichtet mit der Möglichkeit, nach links und rechts zu schwenken.

Durch den vorhandenen, beim Ortstermin deutlich wahrnehmbaren Pflanzenbewuchs, besteht weitestgehender Sichtschutz für die Benutzer des klägerischen Grundstücks. Dass dieser nicht restlos gewährleistet ist, fällt nicht entscheidend gegenüber den Interessen der Beklagtenseite ins Gewicht. Die deutlich sichtbar angebrachte Kamera bzw. Kameraattrappe kann einen Abschreckungseffekt gegenüber potenziellen Straftätern erzielen, die sich auf dem Grundstücksteil an der Nordseite dem Haus nähern wollen. Vergessen werden darf auch nicht, dass es den Beklagten auch ohne technische Ausrüstung möglich wäre, soweit es der dichte Pflanzenbewuchs überhaupt erlaubt, dass klägerische Grundstück und die darauf befindlichen Personen heimlich im Auge zu behalten, was dem Kläger bewußt ist.

Erhebliche klägerische Interessen, welche berechtigen würden, die Entfernung der angebrachten Kamera im Bereich des Balkons zu verlangen, liegen nicht vor. Nach Überzeugung des Gerichts überwiegen ohne jeden Zweifel insoweit die Interessen der Beklagtenseite zur Herbeiführung des Eigenschutzes vor abstrakten Gefahren der Begehung von Straftaten.

Dass noch weitere Videoüberwachungskameras/ Kameraattrappen vorhanden wären, deren Entfernung der Kläger verlangen könnte, wurde klägerseits nicht substanziiert dargelegt.

Der Kläger kann demnach vorgerichtliche Anwaltskosten nur aus einem Gegenstandswert von 2000 € geltend machen (1,3 Geschäftsgebühr 172,90 € gem. Ziff. 2300 VV RVG, Post- und Te!e-kommunikationspauschale in Höhe von 20 € gem. Ziff. 7002 VV RVG, zzgl. 19 % MwSt in Höhe von 36,65 € gem. Ziff. 7008 VV RVG), gesetzliche Verzugszinsen seit 12.04.2012.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Obsiegen und Unterliegen der Parteien halten sich in etwa die Waage.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

gez.

F.
Richter am Amtsgericht

Dieses Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg wurde von den Rechtsanwälten Markus Holzer und Nadja Goldmann erstritten.

Dieses Urteil wurde nicht rechtskräftig, die von uns eingelegte Berufung gegen den abgewiesenen Teil beim Landgericht Aschaffenburg unter dem Az.: 23 S 129/13 war ganz überwiegend erfolgreich (auch auf unserer Homepage veröffentlicht).

Wir würden uns sehr freuen, Sie in unserer Kanzlei in Aschaffenburg persönlich begrüßen zu dürfen, Ihr Rechtsanwalt Markus Holzer, Ihre Rechtsanwältin Nadja Goldmann, 63739 Aschaffenburg.

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